Gut 31 Jahre lang haben sich die im Münnerstädter Kreis zusammengeschlossenen Haupt- und Ehrenamtlichen für mehr Mitwirkung, Mitentscheidung und Verantwortung aller Gläubigen in der Kirche eingesetzt. Benannt nach dem Ort der Gründungsversammlung hat der Kreis sich drei Jahrzehnte lang durch öffentliche Veranstaltungen, die zeitweise Herausgabe der „Löwenzahn“-Zeitung, die Verleihung des gleichnamigen Löwenzahn-Preises an mutige Initiativen und Einzelpersonen, aber auch in ungezählten Treffen der Regionalgruppen für seine Ziele engagiert. Stellvertretend seien genannt: die Dokumentation zum Predigtverbot von „Laien“ in der Eucharistiefeier aus dem Jahr 1989, die bistumsweite Veranstaltungsreihe „Wie lange noch? Mutter Kirche – regiert von den Söhnen, geputzt von den Töchtern“ im Jahr 1992, sowie die differenzierten und dezidierten Vorschläge zu einer Bischofswahl durch eine Kirchenversammlung im Jahr 2003.
„Warum wir aufhören sollten, die Kirche zu retten“, der Titel des aktuellen Buches des Würzburger Hochschulpfarrers und Friedenspreisträgers Burkhard Hose trifft unabgesprochen, aber vielleicht nicht von ungefähr genau in die Auflösungsphase des Kreises. „Wie lange noch?“ war im Frühjahr 2019 die nach wie vor brennend aktuelle Frage beim Flashmob der Frauen im Rahmen der Aktion Maria 2.0 auf dem Würzburger Domvorplatz – 27 Jahre (!) nach der damaligen Veranstaltungsreihe.
Nicht nur in der Frauenfrage sind viele der im Lauf der Jahre mit Engagement vorgetragenen Ideen, Argumente und Aktionen verpufft oder abgeprallt an einer selbstgenügsamen und bisweilen ängstlich um die eigene Macht besorgten Amtskirche. Die ablehnenden und dokumentierten Begründungen ähneln sich bis heute, die Muster ebenso. Man befragt das „Kirchenvolk“ ein ums andere Mal, aber echte Antworten und Entscheidungen bleiben aus. Auch die angekündigten Strukturreformen orientieren sich nach wie vor mehr an der Zahl der zur Verfügung stehenden Amtsträger als an den Bedürfnissen der Menschen vor Ort. Ironie des Schicksals, dass ausgerechnet der Missbrauchskandal ein Bewusstsein für Reform- und Entwicklungsbedarf bei einigen Bischöfen geweckt zu haben scheint.
„Bis hierher ...“ haben die Münnerstädter, zeitweise bis zu 100 Engagierte aus Ehrenamt und kirchlichem Hauptberuf, viel investiert und geleistet. Deutliche Ermüdungserscheinungen, die Generationenfrage, das dauernde und zum Teil systemimmanente Anrennen gegen kirchliche Machtstrukturen, aber auch neue Formen von gesellschaftlichem Engagement haben ihre Spuren hinterlassen. Der Auflösungsbeschluss vom März 2019 trägt der Tatsache Rechnung, dass ein Engagement im bisherigen Format nicht mehr sinnvoll und zielführend erscheint.
„… und weiter“ bedeutet, dass die Visionen des 2. Vatikanischen Konzils und der Synode nicht an ihr Ende kommen, dass es aber jetzt offenbar anderer Formen von Vergemeinschaftung und des Eintretens für eine wirksame und glaubwürdige Verkündigung des Evangeliums bedarf. Deshalb hatte der Münnerstädter Kreis zu seinem Abschiedsfest nicht nur Vertreterinnen aus den Engagements der Vergangenheit eingeladen, sondern auch den Innsbrucker Pastoraltheologen Christian Bauer um Impulse und Ermutigung für einen klaren Blick nach vorn gebeten.
Die kurzfristige und krankheitsbedingte Absage des Hauptreferenten wurde durch eine Videobotschaft aufgefangen und mit der Empfehlung von drei ermutigenden Persönlichkeiten (Madeleine Delbrêl, Michel de Certeau, Claude Rault) für eine „Pastoral der Präsenz unter den anderen“ verbreitete der Professor auch in Abwesenheit einen wirksamen Impuls für die gut 50 Gäste des Abends.
Die 10. Preisverleihung des Goldenen Löwenzahns war so Mittelpunkt des Abschiedsfests am 17.11.2019 im Matthias-Ehrenfried-Haus in Würzburg. Mit der Preisverleihung ehrt der Münnerstädter Kreis seit 1994 immer wieder Gruppen, „die sich für eine zeitgemäße, lebendige Kirche einsetzen, die nach einer wirkungsvollen Reformstrategie suchen und die sich gegen den Trend zur Resignation, vielleicht in kreativem Ungehorsam um die Glaubwürdigkeit der Kirche heute bemühen.“
Der mit jeweils 1.000,00 € dotierte Preis geht 2019 an die „Vereinigung der Freunde der Burg Rothenfels e.V.“, an das Projekt „Sozialwohnungen auf Kirchengrund“ in Erlenbach, sowie an das Projekt „Soultalk“ der Würzburger Schwestern des Erlösers.
„Soultalk“ ist ein bundesweit einmaliges Projekt. Menschen mit Fluchterfahrung im Hier und Jetzt zu stärken, darum geht es. Insbesondere Frauen, die sich oft noch größeren Gefahren auf ihrer Flucht ausgesetzt haben, brauchen Stabilität und erfahren von einem geschulten Team muttersprachliche Hilfe und Unterstützung.
Dass der Bedarf groß ist, zeigen die Zahlen mit 2312 Einzel- und Gruppen-Beratungen seit Projektbeginn 2017 bis August 2019.
Möglichst viele Nachahmer sind dem Projekt der Erlenbacher Kirchenstiftung zu wünschen, die zusammen mit drei Privatinvestoren gegen viele Bedenken und Widerstände 14 „Sozialwohnungen auf Kirchengrund“ im Erbbaurecht errichtet hat. Die diakonische Verantwortung, die Kirche hat, wird hier beispielhaft und an den aktuellen Bedarfen orientiert wahrgenommen – und hat damit Vorbildcharakter.
Obwohl die „Vereinigung der Freunde der Burg Rothenfels e.V.“ dieses Jahr schon 100 Jahre alt wird, wirkt sie wie eine junge Bewegung. „Wir bewegen uns gern auf reformorientierten Pfaden und im Diskurs der Fragen weltoffener Menschen, die doch ihren Glauben pflegen wollen. Der Zustand der Kirche, nicht nur, aber gerade der katholischen, der Befund „Reformstau“, all das bewegt uns, obwohl wir auf Rothenfels kirchenunabhängig sind. Aber so viele von uns sind kirchlich und in ihren Gemeinden sehr engagiert.“
Mit entsprechender Würdigung der Aktivitäten wurde durch die Laudatoren den Initiativen jeweils ein Original-Aquarell eines Löwenzahns überreicht, der Applaus der Anwesenden war nachhaltig und echt.
Aufgrund der durch Vollversammlungsbeschluss im März 2019 erfolgten Auflösung des Münnerstädter Kreises konnten die verbliebenen Mitgliederbeiträge in drei weitere Förderpreise „umgemünzt“ werden, die zu gleichen Teilen an den „Missionsrat der indigenen Völker (CIMI) der brasilianischen Bischofskonferenz (CNBB)“, an die Schwangerschafts-Konfliktberatung Initiative „Donum vitae“ in Aschaffenburg, sowie an die „Mutterorganisation“ kirchlicher Reformbewegungen „Wir sind Kirche“ gehen.
Den Abschluss des Abends bildete der Auftritt des Kirchenkabaretts „Cherubim“ im benachbarten Kolpinghaussaal mit dem bezeichnenden Titel „An der Sch(m)erzgrenze“. Wer weiß schon, ob aus dem Aufhören des Münnerstädter Kreises nicht auch ein Anfang entstehen kann?
Interessieren Sie sich für die Geschichte des Münnerstädter Kreises? Hier finden Sie eine Kurzchronik.